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Über Fotografie Wesen

Oberflächen

Wie Versuche, die Wesen nach Repräsentationen zu ordnen, so erscheint mir die Naturfotografie; doch statt in Formaldehyd werden sie in Silbersalzen und CMOS-Sensoren eingelegt.

Eine kleine Polemik

Michel Foucault, Tiefenbohrer des westlichen Denkens, war der Ansicht, dass das klassische Denken des 18. Jahrhunderts die Lebewesen lediglich räumlich nebeneinander anordnen konnte. Ihre Geschichte und innerer Aufbau sei vernachlässigt worden zugunsten eines endlosen Tableaus von repräsentierenden Worten. Artnamen, Gattungsnamen, Beschreibungen – jedes Detail ihrer Erscheinung erfassend, alle Wesen der Welt dargestellt über ihre Repräsentationen. Die Welt der Wesen als Oberfläche ohne Tiefe, ohne Geschichte. Klassisches Denken manifestierte sich im Naturalienkabinett, in dem jedes Wesen seinen Platz neben den anderen hatte und die Änderungen sich graduell über das Seiende erstreckten. Mit der Moderne sei jedoch eine Frage nach Tiefe aufgekommen, die nach Funktionen fragt und die Geschichte der Wesen erfahren will. Am Anfang dieser Geschichte, am tiefsten Punkt der Bohrung findet er etwas, unerreichbar doch durchscheinend, das unsere moderne Erfahrung ermöglicht, jeder Wahrnehmung von Lebewesen vorausgeht – er nennt es Leben.

Das Leben sorgt für die moderne Ordnung der Dinge, mit Foucault gedacht können wir nicht anders wahrnehmen, als in der Tiefe der Lebewesen das Leben zu sehen.

Gräser auf prekärer Fläche.
Wie die meisten offenen Sandflächen wird auch diese verschwinden. Die Gräser stellen einen Abschnitt ihrer Besiedlungsgeschichte dar, ihr Auftreten findet im Kontext von Konkurrenz und Symbiosen, Standort und Erbgut statt. Sie würden von anders entwickelten Organismen abgelöst werden, wenn nicht zuvor die Baustelle, die die Fläche ermöglichte, sie auch wieder verschlingt.

Was aber, wenn wir in der Naturfotografie den Sprung ins Moderne nicht ganz geschafft haben? Sind wir immer noch dem Betrachten der Oberflächen verfallen?

Wie Versuche, die Wesen nach Repräsentationen zu ordnen, so erscheint mir die Naturfotografie; doch statt in Formaldehyd werden sie in Silbersalzen und CMOS-Sensoren eingelegt. Verstehen wir unsere Bilder als Repräsentationen im alten, klassischen Sinn? Lässt uns das verflachende, 2-Dimensionale Medium die Oberflächen verlockend erscheinen? Die Fotografie ist ein Abbild ohne Zeit, vernachlässigen wir damit die Geschichten, die alle Wesen haben? Auf einem Bild lässt sich nicht feststellen ob das Wesen noch lebt oder gerade verstorben ist, ein ausgestopfter Vogel kann fotografiert werden, als wäre er lebendig. Und so vergessen wir die Geschichten der Wesen.

Als Teenager, der mit seiner Digital-Kamera in den Zoo und in den Wald ging, hatte ich angefangen, meine Ordner in diesem Stil zu benennen und zu ordnen. Es gab Vögel, Säugetiere, Pflanzen und Steine. Es gab Insekten, Affen, Katzen und Bäume. Affen waren den Katzen näher als den Bäumen und die Steine am weitesten entfernt. Und damit es nicht unübersichtlich wurde, steckten all diese Ordner in einem großen Ordner mit der Aufschrift Natur. Das Kriterium, als Bild in diesen elitären Kreis aufgenommen zu werden, bestand darin, weder Menschen abzubilden noch ihre Artefakte. Vor Herausforderungen stellten mich Aufnahmen von Bäumen in Städten, von Tieren in Gärten bei denen ich es nicht geschafft hatte, die Artefakte aus dem Frame zu verbannen. Mit den Zoo-Bildern hatte ich weniger Probleme, vielleicht weil sie von vornherein die Live-Version eines Naturalienkabinetts darstellen. Die Zoo Artefakte waren ja die Rahmung der Ordnung, das Formaldehydglas für lebende Tiere.

Sehe ich mir die Kategorien von Naturfotografie Wettbewerben, ja die Logik der meisten Zeitschriften an, erkenne ich ähnliche Muster. Oft ordnen wir die Bilder in Vögel, Säugetiere, andere Tiere sowie Mensch und Natur. Und damit es nicht unübersichtlich wird, ein Titel, der sicher ein Wort enthält: Natur.

Kiefer in Bahnschwelle
Es fällt uns so schwer, die Hybride zu sehen. Zeitlich unsynchrone Prozesse verschiedenartiger Akteure, die sich überlagern und Muster absichtsloser Koordination bilden, wie Anna Tsing sie nennt.

Natur, immer wieder Natur. Ist dieser Begriff, diese Kategorie vielleicht der Versuch der Naturfotografie im modernen Denken? Die Suche nach dem Tiefenphänomen, das alle Erscheinungen ermöglicht? Wir kennen das moderne Denken, sind vertraut mit der Biologie, die die Wesen nicht länger nur anordnet sondern als sich entwickelnde Wesen sieht, jedes am Ende einer langen Kette von Vorgängern bis in die Tiefe der Zeit. Doch ganz haben wir das Phänomen Leben nie verstehen können, die Klügsten sind an seiner Definition gescheitert.
Wir versuchen ein Prinzip zu finden, das die Masse unserer Bilder eint, uns erklärt warum wir alle diese Bilder gemacht haben. Wir sehen die Oberflächen und wollen das Phänomen wissen, das ihnen ihren Sinn verleiht. Wir suchen es in den Prozessen, die die Muster gebildet haben und stellen uns vor, den Prozess Natur abbilden zu können, stellen uns vor, ihn gegen die menschlichen Prozesse abgrenzen zu können. Denn das Leben ist zu verwirrend, um es einfach abzubilden zu können, mit seinem Wandel, mit seinem Befolgen der nur eigenen Regeln. Wie schön wäre es, die Natur als Kategorie zu haben, wie einfach. Wie flach.

Anders als das Leben ist die Natur nur eine Denkkrücke, überflüssig, verwirrend. Ein Konglomerat aus der uneingestandenen Obsession nach Oberflächen und dem unentkommbaren Blick in die Tiefe. Jeder Satz, der den Begriff Natur enthält, kann ohne ihn formuliert werden.

Wo das Leben die Wesen von unten erleuchtet und ermöglicht, liegt die Natur darüber; verwischt, verwirrt, vernebelt.
Lenkt ab von den Geschichten, die zu erzählen wären.

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