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Hier geht es nicht um Naturfotografie …

Wenn Du sagst: Ich fotografiere „Natur“, Ich gehe in die „Natur“ – Denk darüber nach, was Du wirklich meinst.

… denn die Natur gibt es nicht.

Ich denke nicht, dass es einen Bereich gibt, den man aus fotografischer Perspektive sinnvollerweise „die Natur“ nennen kann. Genau so wenig gibt es eine gemeinsame Eigenschaft, ein einendes Prinzip, ein geteiltes Attribut, einen Kollektivsingular, einen über alles herrschenden Zusammenhang; „Natürlichkeit“.

Vielleicht ist der Begriff sinnvoll, wenn über Natur als Welt im umfassendsten Sinn gesprochen wird, doch meist meinen wir nicht das Leben, das Universum und den ganzen Rest; wir meinen alles, was mit uns die dünne kritische Zone auf diesem Planeten teilt, und den Planeten meinen wir gleich dazu.

Es fasziniert uns, es ist uns egal, es beeinflusst uns, wir beeinflussen es. Und wir reden darüber, als handle es sich um eine Ganzheit, als wäre ein einzelner Begriff ausreichend, der Begriff „Natur“. Doch nur weil alles mit etwas zusammenhängt, heißt das nicht, dass man alles mit einem einzigen Begriff beschreiben kann. Die sammelnde Ansprache als „Natur“ ist nicht gerechtfertigt, meist verwirrt sie nur.

Denn vor allem ist „Natur“ kein homogener Akteur mit geeinten Absichten.

Jedesmal den Begriff „Natur“ oder „natürlich“ auszutauschen mit dem, was wirklich gemeint ist – die konkreten Wesen, Prozesse, Phänomene, Strukturen oder Akteure – ist nicht nur ungewohnt, sondern auch informativer und ehrlicher.

Natur als eine einheitliche Sphäre darzustellen, wird der Vielfalt nicht gerecht, die darunter subsummiert wird.

Diesem dann eine andere Sphäre – das menschliche, die Kultur, die Zivilisation – entgegenzustellen, baut einen Gegensatz auf, der nicht haltbar ist.


Was ist zu sehen in diesem Bild?
Ich habe es „Verbundenheit“ genannt.
Man könnte es interpretieren als die Sehnsucht der Menschen, die zurück zur Natur gelangen wollen, die Verbindung oder Einheit mit der „Natur“ suchen. Ich sehe es lieber als eine Begegnung zweier Wesen, von denen das eine, menschliche, Verbindung sucht. Ob das andere Wesen, die Buche, die Begegnung ebenfalls zu schätzen weiß; ob es sie auch als Verbindung ansieht, darüber können wir nur spekulieren. Die Buche jedoch gleich als Sinnbild für eine gesamte „Natur“ zu sehen, bürdet ihr zu viel auf – sie ist doch auch nur ein Baum. Gleichzeitig lenkt es den Blick weg von den Besonderheiten ihres Wesens, wenn wir in der Buche nur die „Natur“ sehen.
Sie ist doch für sich selbst interessant und einzigartig!

Der Begriff „Natur“ passt nicht – kein Wunder, denn die Natur gibt es nicht.


In der Wissenschaft denken wir oft über „die Natur“ nach. Wir meinen damit, dass wir versuchen, Gesetze und Regelmäßigkeiten zu erkennen, die für die gesamte Welt im umfassenden Sinn gelten – und dies mit Erfolg. Doch wenn ich „Natur“ fotografieren möchte, geht es mir dann um die Newtonschen Bewegungsgleichungen, um die natürliche Selektion?

Wenn Du sagst: Ich fotografiere „Natur“, Ich gehe in die „Natur“ – Denk darüber nach, was Du wirklich meinst!
Du kannst genauer hinschauen, aufmerksamer beobachten. Vielleicht muss man in den Einzelwesen gar keine Ganzheit finden, vielleicht gibt es die Ganzheit gar nicht.

Für Fotografie kann dies befreiend sein. Wenn es die Natur nicht gibt, muss ich sie auch nicht abbilden „so wie sie ist“. Ich kann das, was mir begegnet in Bilder verwandeln. Ich kann dem Einzelnen begegnen.

Trotzdem zeigen meine Bilder oft, was andere gerne „Natur“ nennen.
Was möchte ich mit ihnen zeigen?
Ich möchte sehr oft die Ergebnisse sich selbst ordnender Prozesse zeigen. Lebende Wesen sind die komplexesten Varianten davon, die sich andauernd selbst erschaffen, doch die gleiche Schönheit liegt im Ergebnis einer tanzenden Flamme, ihre Ordnung ändert sich in Sekunden, wie in den vielen Jahren, die den Ablagerungen eines Sedimentfächers seine jetzige Form brachten.

Die Dinge zu bewundern, in der Form in der sie sich präsentieren, das ist für mich die Freude und das große Staunen der Fotografie.

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4 Antworten auf „Hier geht es nicht um Naturfotografie …“

Lieber Paul,

ein sehr, sehr guter Text!

Du schreibst mit Kenntnis, Erfahrung und Emotion, das gefällt mir sehr! Auch der Humor blitzt durch “ sie ist doch auch nur ein Baum“ – sehr lesenswert! Besten Dank fürs Teilen!

LG Hansjörg

Hansjörg Albrecht syspra-albrecht.de +4916099660770

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